Eine Woche bei Byggnads

Byggnads in Schweden ist bei uns in Österreich die Gewerkschaft Bau -Holz. Linn Svansbo nahm sich eine Woche Zeit und gestaltete ein sehr abwechslungsreiches Programm. Byggnads ist eine Gewerkschaft, die zu 98,6% aus männlichen Mitgliedern besteht. Und es ist die Gewerkschaft, die einen regelrechten Mitgliederzuwachs vorweisen kann. Derzeit gibt es ca. 102.730 Mitglieder und davon ist etwa 1/3 jünger, als 30. Byggnads gibt es bereits seit 1889.

In Stockholm befindet sich das Zentralbüro mit 55 MitarbeiterInnen. Dann gibt es noch elf Regionen mit 33 Büros, verteilt über ganz Schweden. Insgesamt hat Byggnads 400 Beschäftigte und somit die meisten MitarbeiterInnen von allen Gewerkschaften.

Ein ganz großes Problem für die Gewerkschaft und natürlich für die ArbeiterInnen, ist das extreme Lohn- und Sozialdumping, das sich immer mehr ausbreitet. Händeringend wird nach Lösungen gesucht.

Jugendorganisation UNGA BYGGARE

Jakob Wagner ist Leiter der Jugendabteilung und zuständig für die 15 Jugendgruppen UNGA BYGGARE. Die intensive Jugendarbeit wurde 2015 auf neue Beine gestellt und ist somit noch sehr jung. Ein Schwerpunkt ist natürlich die Mitgliedergewinnung.

Alle Jugendlichen haben die Möglichkeit, sich aktiv in der Jugendorganisation zu beteiligen. Ausgenommen sind und das ist auch in den Statuten festgeschrieben, Personen die sich in rechtspopulistischen Parteien engagieren.

Gewerkschaftliche Bildungsarbeit in der Jugendorganisation

Es gibt verschiedene Bildungsseminare. Der Basis- oder Grundkurs dauert acht Stunden und wird für Mitglieder und Nichtmitglieder angeboten. Das Angebot wird sehr, sehr gut angenommen.

Nach dem Grundkurs folgt dann das Seminar – The way forward. Dabei handelt es sich um eine Kooperation mit anderen Fachgewerkschaften. Es geht um: Karl Marx, Adam Smith, Friedrich Engels, Kapitalismus, Klassenkampf, Frauenrechte, Globalisierung, EU usw. Weiter`s findet auch ein Verhandlungstraining statt. Das Seminar wird von Jakob Wagner und einem Kollegen abgehalten.

Ein Nachmittag beim TCO Kongress

Linn Svansbo nahm mich zum TCO Kongress (white colour) mit. In verschiedenen Workshops wurden unterschiedliche Themen behandelt. Linn war Vortragende zum Thema Frauen und Gleichberechtigung. Dieser Workshop wurde leider nur in Schwedisch abgehalten. Ein weiterer Workshop fand zum Thema Klimawandel, Globalisierung und Digitalisierung statt. Was können die Gewerkschaften zur Verbesserung beitragen und was wird bereits in anderen Ländern diesbezüglich gemacht. Das internationale Interesse an diesem Thema war sehr groß. Dabei lernte ich GewerkschafterInnen aus Litauen, Lettland und Norwegen kennen.

Vor Ort bei den Mitgliedern

Am dritten Tag durfte ich Linn in der Früh zu einer Betriebsversammlung begleiten, ca. 30 Minuten außerhalb von Stockholm. Die Autofahrt war angenehm und ruhig. Warum ich das erwähne? Die erlaubte Geschwindigkeit von 110 km/h (manchmal auch weniger) vermittelte das Gefühl von Ruhe. Es war keine Hektik zu spüren und ich sah auf der vollen Autobahn keine Raser und keine riskanten Überholmanöver. So fängt der Tag schon mal gut an. Aber nun zur Betriebsversammlung. In den Kollektivverträgen ist geregelt, dass die Mitglieder jährlich fünf Stunden für Gespräche und Versammlungen mit der Gewerkschaft während der Arbeitszeit bekommen müssen. Insgesamt waren vier Gewerkschaftssekretäre anwesend. Sie informierten zum Thema Sicherheit, Gesundheit, Lohn, Versicherungen und was in der Mitgliedschaft alles inkludiert ist. Es gibt unterschiedliche Vorgehensweisen. In der von mir besuchten Versammlung waren nicht nur Mitglieder sondern alle Beschäftigten anwesend. Auch die Chefin war dabei. Je nach Verhältnis und Thema kann es sein, dass die Versammlung nur für Mitglieder und ohne anwesender Geschäftsführung abgehalten wird.

Organizing – Mitgliedergewinnung mit Herz

Im Membercenter (MC) Byggnads erklärte mir Nicklas Mattsson, den Unterschied von Mitglieder werben zu Mitglieder gewinnen. Aber dazu komme ich später noch ausführlicher. Das aktuelle Callcenter mit acht MitarbeiterInnen, gibt es seit 2012. Im vergangenen Jahr gab es 38.000 telefonische Kontakte und 7.000 Mails. Es wurde umstrukturiert und viel Zeit und Geld in sehr gute Ausbildung investiert. Dazu eine ordentliche Portion Strategie erarbeitet und schon sieht alles gleich anders aus. Das Ganze nennt sich Organizing und kommt ursprünglich aus den USA. Die Mitglieder werden mehr und sind viel zufriedener und was ganz wichtig ist, es gibt weniger Austritte.
Vor 2012 gab es bei Byggnads die uns bekannte, klassische Methode der Mitgliederwerbung.

Jetzt komme ich zu den AnruferInnen im Callcenter. Es wird nach der Sozialversicherungsnummer gefragt und da wissen die MitarbeiterInnen im Callcenter gleich mal, ob die Person bereits Gewerkschaftsmitglied ist. Auf eine spezielle geschulte Art werden die AnruferInnen über die Möglichkeit einer Mitgliedschaft angesprochen. Auskünfte gibt es nur für Mitglieder. Man kann sofort Mitglied werden und auch den Beitrag mittels SWISH überweisen, dann erhält man gleich die benötigte Auskunft. SWISH ist eine Sofortüberweisung und ist für den Empfänger gleich sichtbar. Es ist die schnellste Möglichkeit, so wie wenn mit Bargeld bezahlt werden würde. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle mal erwähnen, dass die Zahlungsweise in Schweden etwas anders ist. Bargeld ist nicht beliebt. Ich bin nun schon die vierte Woche in Stockholm und hab von den 1.100 Kronen (ca. 100 Euro) die ich mir bei meiner Ankunft abgehoben habe, immer noch einiges. Aber nicht weil ich so sparsam bin, sondern in vielen Lokalen und Shops Schilder angebracht sind mit NO CASH. Vor einigen Tagen musste ich mir ein anderes Cafe suchen, da die Bankomatkasse ausgefallen war, Bargeld nicht angenommen wurde und nur die Möglichkeit mittels SWISH zu bezahlen bestand. Da ich diese Funktion nicht kenne und auch nicht habe, blieb mir nichts anderes übrig als wieder zu gehen. Nun aber zurück zum Callcenter. Ein weiterer Schwerpunkt sind die uns bekannten stillen Austritte. Auch darum kümmert sich das Callcenter, oder wenn ein Mitglied den Beitrag nicht bezahlt hat, gibt es eine Strategie und spezielle Vorgehensweise, wie, wann und wie oft das Mitglied kontaktiert wird. Ehrlich gesagt ist es für mich schwierig die ganze Vorgehensweise in eine Kurzform zu bringen. Aber zum Abschluss möchte ich sagen, dass mir bezüglich Mitgliedergewinnung einiges bewusster geworden ist. Nicklas Mattsson, Chef der Abteilung, hat immer wieder darauf hingewiesen, dass Mitgliedergewinnung mit Herz einfach gut funktioniert und es dazu eine gute Strategie braucht. Und die ganze Vorgehensweise rechnet sich, indem die Mitgliederzahl stark steigt und somit auch die Einnahmen mehr werden.

Anfangs kamen starke Zweifel von den beschäftigten SekretärInnen in den Regionen. Sie hatten Angst, es würde ihnen Arbeit weggenommen und fürchteten um ihren Job. Aber so war es nicht. Im Gegenteil, den SekretärInnen bleibt mehr Zeit für andere wichtige Dinge. Die Mitglieder und werdenden Mitglieder werden nur mehr von extra gut geschulten Personen betreut und kontaktiert.