Jetzt durfte ich auch das System der Lohnverhandlungen, in Deutschland „Tarifverhandlungen“ kennen lernen. Am Beispiel der Tariflohnrunden des KFZ-Gewerbes in München, an der ich dabei sein durfte, erfuhr ich, dass Rahmentarifverträge (sogenannte Mantelverträge, die verschiedene inhaltliche Bereiche der Branche abdecken, wie z.B. Ausbildung oder Weiterbildung) nur alle paar Jahre neu verhandelt werden. Auch das Entgelt wird in der Regel nicht jährlich, sondern alle 2 Jahre neu verhandelt. Der Verhandlungspartner der IG-Metall im Bereich des KFZ-Handwerks ist die entsprechende Innung, die aber eine freiwillige Arbeitgeberinteressensvertretung ist und somit nicht alle Unternehmungen in der Fläche Bayerns vertritt. Auch interessant: schon seit vielen Jahren gibt es in Deutschland einen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff, also die arbeits- und sozialrechtliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten.
Prinzipiell verhandelt die IG-Metall die Lohnerhöhungen nur für ihre Mitglieder, wobei die Arbeitgeber meistens den Tarifabschluss auch für die Nichtmitglieder anwenden. Um zu verhindern, dass das Unternehmen den Nicht-Mitgliedern mehr zahlt, als es der Tarifvertrag für Mitglieder vorsieht, fließen manchmal die Erhöhungen über eine Stiftung an die Gewerkschaftsmitglieder – so hat der Arbeitgeber keinen Einblick, wer nun die Lohnerhöhung bekommt oder nicht. Spannende Geschichte!
Ist ein Unternehmen nicht tarifgebunden, aber die Belegschaft fordert einen solchen für ihre Firma ein, dann übernimmt die IG-Metall die Verhandlungen, sobald der gewerkschaftliche Organisationsgrad über 50 % ist. Begleitet wird der Prozess von zahlreichem Aktionismus bis hin zu Warnstreiks. Tatsächlich musste ich feststellen, dass die Streikbereitschaft – zumindest in den Bereichen, in denen ich im Zuge des Praktikums Einsicht hatte – bei den Deutschen wesentlich höher ausgeprägt ist als bei uns. Das mag an der konsensorientierten Systematik der österreichischen Sozialpartnerschaft geschuldet sein, aber auch an der Mentalität der Deutschen, die von jeher gelernt haben, für ihre Forderungen in der Arbeitswelt „aufzustehen“:
Im Rahmen der Betriebsbesuche durfte ich auch das BR-Team der Fa. Airbus kennen lernen und erfuhr ein wenig von den neuen Herausforderungen in der Luft- und Raumfahrt, mit denen auch der Flugzeughersteller konfrontiert ist. Beispielsweise findet der Airbus 380, immerhin das größte Passagierflugzeug der Welt, offensichtlich zu wenig Abnehmer, sodass die Produktion stark zurückgefahren wurde – was letztendlich auch Arbeitsplätze kosten wird.
Abschließend bin ich zum Entschluss gekommen, dass Deutschland das Land der Abkürzungen ist. Beispiele gefällig? GroKo (Große Koalition), TaKo (Tarifkommission), TelKo (Telefonkonferenz), BaWü (Baden Württemberg), BeVo (Bevollmächtigter, so heißen die Geschäftsführer der IG Metall), BaföG (Berufsausbildungsförderungsgesetz), KiTa (Kindertagestätte),PaKo (Paritätische Kommission), KUG (Kurzarbeitergeld), T-ZUG (tarifvertragliches Zusatzentgelt) usw. usw.
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Christophers zweite Woche in München
Auch die zweite Woche in meinem Praktikum gestaltete sich durchaus spannend: bei einem Betriebsbesuch der BR’s der Fa. Infinion wurde mir bewusst, dass es in Deutschland 2 Arten der betrieblichen Interessensvertretung gibt: zum einen natürlich die Betriebsratskörperschaften, die (anders als in Österreich, wo üblicherweise Fraktionen oder Namenslisten bei den BR-Wahlen antreten) als IG-Metall antreten und eindeutig als Gewerkschaftslisten deklariert sind. Zum anderen sind da die Vertrauenskörperschaften, die von den Gewerkschaftsmitgliedern im Betrieb periodisch gewählt werden und sich primär um Mitgliederwerbung und um die Transportation von Gewerkschaftskampagnen in den Unternehmen kümmern – quasi als verlängerter Arm der Gewerkschaft. Diese haben jedoch keinen Kündigungsschutz, was aber aufgrund der im Vergleich zu uns größeren Barrieren für das Unternehmen bei Dienstgeberkündigungen nicht sehr schwerwiegend ist. Apropos Kündigungen: in Deutschland gibt es neben der „normalen“ Kündigung auch eine „ausserordentliche“ Kündigung: diese ist fristlos und muss aus einem besonderen Grund erfolgen. Diese Gründe sind nicht taxativ oder demonstrativ angeführt, sondern müssen individuell geprüft werden. Hierbei erweist sich das Arbeitsgericht aber als sehr hart: gerechtfertigte ausserordentliche Kündigungen bezogen sich z.B. auf die Entwendung von 3 Kiwifrüchten einer Einzelhandelsangestellten, dem Verzehr eines Stücks Bienenkuchens durch eine Buffetmitarbeiterin, oder auf die Entwendung von 1kg Rinderscheiben durch einen 59-jährigen Produktionsmitarbeiter, der seit 29 Jahren im Betrieb beschäftigt war.
Ebenfalls zu erwähnen ist meine Teilnahme am Sozialpoltischen Forum der IG-Metall in Frankfurt, an dem die Konsequenzen der Digitalisierung und der digitalen Transformation für die Beschäftigten und den Sozialstaat diskutiert wurden. Dabei wurde u.a. der Entwurf eines sogenannten Transformationsgeldes vorgestellt: man fordert den Staat auf, soziale Härten, die durch den Wegfall von Arbeitsplätzen durch Digitalisierung entstehen, durch Bildungsmassnahmen und anderen finanziellen Subventionen abzumildern. Auch das derzeitige Rentenmodel wurde kritisch hinterfragt, das österreichische Pensionsmodell hingegen pries man hingegen als vorbildlich für die Beschäftigten an.
Christophers erste Woche in München
Ich begann mein Praktikum bei der IG-Metall München am Montag, den 29. April 2019 und war schon mal recht beeindruckt von der ausgezeichneten Lage des Gewerkschaftshauses, das sich gerade mal 5 Minuten zu Fuß entfernt vom Münchner Hauptbahnhof befindet. Neben der IG-Metall sind sich noch die Gewerkschaft Verdi, die EVG und der DGB Bayern im recht großzügig angelegten Gebäude beheimatet.
Nach einem wärmenden Empfang der Assistentinnen wurde ich im Rahmen der allwöchentlichen Bürobesprechung schon zu den ersten Terminen eingeteilt, die ich zusammen mit den jeweilig verantwortlichen politischen Sekretärinnen und Sekretären absolvieren durfte – z.B. nahm ich Dienstags an einer Sitzung der BR‘s der Firma Siemens AG teil. Thema war u.a. der Ausbau eines anderen Standortes in Passau, wobei mir der sogenannte „Interessensausgleich“ ins Auge stach: laut deutschem Arbeitsrecht ( genauere Grundlage ist hier das Betriebsverfassungsgesetz ) ist das Unternehmen bei einer geplanten Betriebsänderung verpflichtet, mit dem Betriebsrat Maßnahmen zu verhandeln, die sowohl die Interessen der Beschäftigten, als auch die des Arbeitgebers berücksichtigen (z.B. Kurzarbeit oder Arbeitszeitabsenkungen). Nicht zu verwechseln ist der Interessensausglich mit dem Sozialplan, bei dem es dann anschließend um den Ausgleich und die Milderung von Nachteilen für die betroffenen Beschäftigten, die sich aus der Umsetzung der Betriebsänderung ergeben.
Ein weiterer Höhepunkt meiner ersten Woche waren natürlich die Vorbereitungen für die Kundgebung und den Demonstrationszug am 1. Mai, der auch in München feierlich begangen wurde. Neben den Gewerkschaften und verschiedenen politisch links stehenden Organisationen nahmen auch NGO’s, wie z.B. der Mieterbund Münchens, an der Demonstration teil und hatten auch am Rathausplatz, an dem die Kundgebungen stattfanden, einen eigenen Stand (wie natürlich auch die IG-Metall).